Arjuna Fan Fiction ❯ Mondkinder ❯ Ankunft in Osaka ( Chapter 1 )

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Osaka, Kansai Int. Airport, heute, 5 Jahre später
 
Das junge Mädchen stieg aus dem Flugzeug, das sie von Shannon hierher gebracht hatte. Lia Haw­kens weißblondes, langes Haar wehte im feuchtwarmen Wind Japans. Ihre scharfen blauen Augen überblick­ten das Flugfeld, während sie den anderen Passagieren zum Terminalgebäude folgte. Sie würde das folgende halbe Jahr im Rahmen eines Schüleraustausches bei einer Gastfamilie in Kobe verbringen. Sie hatten gesagt, sie wollten sie hier am Flughafen abholen.
„Na da bin ich ja mal gespannt, wie die so sind. Man hört ja die interessantesten Geschichten von diesem Völkchen!“ In der Ankunftshalle erblickte sie nach einigem Suchen ein Schild auf dem ihr Name stand und steuerte dessen Besitzer an. Vor ihr standen eine Dame mittleren Alters und ein junges, dunkelhaa­riges Mädchen mit großen braunen Augen.
„Ariyoshi-san?“ - „Ja, die bin ich. Du musst Lia Hawken sein?“ - „Ja.“ - „Willkommen in Japan, Kind. Fühl dich bei uns wie zuhause. Das hier ist meine jüngere Tochter Juna. Meine ältere Tochter Kaine arbeitet noch.“
Verlegen verbeugte sie sich ungelenk. „Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Hallo, Juna-san, ich bin Lia.“
Nachdenklich sah sie Juna an. Das japanische Mädchen sah sie etwas irritiert an, fast als würde sie sie an etwas oder jemanden unangenehmes erinnern. Aus Höflichkeit verkniff Lia es sich, in ihrem Geist nachzusehen was es war. Ihr älterer Bruder hatte ihr von Kindheit an deutlich zu verstehen gege­ben, dass so was unter Telepathen und Nichttelepathen nicht geduldet würde. Sie beschloss, höflich nachzufragen, als sie in das Auto von Frau Ariyoshi einstiegen.
Nach einigen Kilometern setzte sie ihren Entschluss um.
„Juna-san, darf ich dich etwas fragen?“
„Sicher, nur zu!“
„Hab ich irgendwas an mir, das dich irritiert? Bitte sei ehrlich, immerhin müssen wir die nächsten sechs Monate gemeinsam verbringen.“
„Mit dir ist nichts, Lia-san, es ist nur…du erinnerst mich an einen Bekannten. Sind so helle Haare und so seltsam blaue Augen und solch ein zarter Körperbau in Irland normal? Ich habe immer geglaubt, Iren hätten rote Haare und grüne Augen.“
Lia stutzte. Das waren ja komische Fragen. Naja, solche Leute wie sie gab es ja schließlich mehr.
„Nein, eigentlich nicht. Meine Haarfarbe, meine Augen und mein Körperbau sind ein Merkmal der Haw­ken Familie. Aber ich bin nicht ungewöhnlich für diese Familienkennzeichen, mein Bruder Chris war da noch extremer. Der war knapp 1.65m groß, spindeldürr und hatte fast türkise Augen. Den hättest du mal sehen sollen, da wären dir die Augen rausgefallen!“ Junas Reaktion war mehr als unerwartet. Sie wurde kreideweiß und ballte die Fäuste.
„Wieso war?“
„Als ich zehn war, verschwand er. Schwafelte was von einem Ruf, dem er folgen müsse und dass ich das nicht verstünde. Hm..hab ihn bis heut nicht wieder gesehen. Übrigens, er ging nach Japan. Aber Japan ist groß und ich treffe ihn wohl kaum wieder. Er ist sicher auffällig in einem Haufen Asiaten, aber er kann weiß Gott wo sein.“ Lia fand es nicht der Mühe wert, zu erwähnen, dass in den vergangenen Jahren ein paar Mal Briefe von ihm gekommen waren, sie diese aber jedes Mal zornig in ungeöffnetem Zustand in eine Schachtel geschmissen hatte. Diese Schachtel befand sich nun in einem ihrer Koffer.
 
Juna wurde innerlich ganz anders. Diese Gaststudentin sah Chris so ähnlich! Sie könnte fast sein Spiegelbild sein. Auch der Name war auffällig: Chris' Nachname war auch Hawken. Konnte diese Ähnlichkeit denn Zufall sein?
Nur der Charakter des Mädchens war völlig anders. Als das Gespräch dahinging, erkannte Juna mit ihren geschärften Sinnen, dass Lia total extrovertiert und neugierig war, wie ein Wasserfall redete und locker und entspannt wirkte. Chris hingegen verschwendete keine Worte und sagte nur das notwendigste. Er war die introvertierteste Person, die Juna jemals untergekommen war.
Wo Lia lebhaft beim Sprechen gestikulierte, war Chris starr wie eine Salzsäule und wo Lia Blickkontakt suchte, mied er ihn bestmöglich. Wenn sie sich recht erinnerte, sah Chris jemanden nur dann gerade in die Augen, wenn er einen Punkt klar und unmissverständlich deutlich machen wollte.
Was sie brennend beschäftigte, war die Frage, ob Lia auch Telepathin war. Noch jemand mit solch verrückten Fähigkeiten wie Cindy oder Chris wäre wirklich das Letzte was ich jetzt so kurz vor den Prüfungen brauchen kann. Sie würde mich ja völlig irre machen, wenn sie auch dauernd in meinem Kopf reden würde!', dachte sie ärgerlich.
 
Die ganze Zeit kam sie nicht umhin, sich weiters darüber Gedanken zu machen, wie es sein konnte, dass eine völlig Fremde erstens Chris so ähnlich und doch so unterschiedlich sein konnte und zweitens, wie sie denn ihre Arbeit bei SEED vor ihr verstecken sollte. Sie sollte ja keinem ein Sterbenswörtchen darüber erzählen, aber Lia würde ja mit ihr das Zimmer teilen. Sie ahnte, dass Lias Neugier hier zu Problemen führen konnte und würde.
 
Daheim angekommen, half Juna Lia, all ihr Gepäck - hauptsächlich Kleinzeug - zu verstauen.
„Mein Gott, Lia-san, du hast ja Sachen in einer Menge mit, als wolltest du auf Weltreise gehen! Brauchst du denn das alles!?“ Lia lachte fröhlich: „Nein, aber man weiß ja nie. Außerdem sind das nicht alles nur Klamotten, sondern unter anderem auch alte Briefe, meine Geige, die Gitarre samt Noten. Mein Vater kennt hier einen Geigenlehrer und hat arrangiert, dass ich von ihm Unterricht erhalte, damit ich nicht alles vergesse!“
„Alte Briefe? Wofür?“
Lia senkte den Blick und errötete. „Von meinem Bruder. Einerseits bin ich ja immer noch total sauer auf ihn und hab deshalb keinen seiner Briefe der vergangenen Jahre gelesen, andererseits glaube ich, dass ich hier in Japan mich endlich dazu bringen kann, wenigstens die letzten Briefe zu lesen, damit ich zumindest ansatzweise weiß, was er macht und wo er ist. Leider sind sie ohne Absender.“ Lia lachte spöttisch: „Das Ärgste ist ja, dass die Adressierung nicht mit seiner Schrift geschrieben wurde! Die Schrift schaut eher aus wie die eines jungen Mädchens. Aber ich weiß einfach, dass die Briefe von ihm sind.“
Also wenn ihr Bruder der ist, der ich denke, der er ist, wundert es mich nicht, dass die Briefe nicht mit einem Absender versehen wurden. Und das Problem der Adressierung wäre damit auch auf Anhieb gelöst!', dachte Juna trocken.
Sie wollte etwas sagen, da rief ihre Mutter zum Abendessen.
 
Beim Essen herrschte amüsiertes Schweigen. Es war offensichtlich, dass Lia es nicht gewohnt war, mit Stäbchen zu essen und sich daher recht ungeschickt anstellte. Sie hatte zwar daheim in Irland bereits mit Stäbchen gegessen, aber da sie aus einem kleinen Dorf an der Westküste Irlands kam, hatte sie nie viel Gelegenheit gehabt, diese Fertigkeit zu praktizieren. Nach einer Weile erbarmte sich Juna und zeigte ihr, wie man die Stäbchen am besten hielt, um damit erfolgreich das Abendessen „bezwingen“ zu können.
Nachher plumpste Lia einfach nur noch erschöpft ins Bett. Es war ein langer Tag für sie gewesen und der Jet Lag machte sich bereits bemerkbar.