Arjuna Fan Fiction ❯ Mondkinder ❯ Erste Probleme ( Chapter 6 )

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Am nächsten Morgen machten sich die beiden Mädchen gleichzeitig auf den Weg in die Schule. Da sie auf verschiedene Schulen gingen, trennten sich ihre Wege sehr bald. Lia fuhr mit dem Fahrrad eine Abkürzung, da sie knapp dran war. Der Vormittag war ereignislos, und Lia hatte Muße, über die Ereignisse des gestrigen Tages nachzudenken. Einerseits grenzte es für sie an ein Wunder, dass sie ihren Bruder so unversehens wieder gefunden hatte, andererseits waren damit alle Gefühle, die sie als unterdrückt betrachtet hatte, wieder aufgewallt. Sie wusste, eine weitere Konfrontation würde unvermeidlich sein. Sie seufzte und fasste einen Entschluss: Sie hatte sich nämlich gemerkt, wo die Basis war und wusste, dass sie diese per Fahrrad leicht erreichen konnte. An diesem Nachmittag würde nur Turnen sein, und da konnte sie leicht irgendein Unwohlsein vorschützen und sich früher vom Unterricht absentieren.
 
Gesagt, getan. Wenig später radelte sie eine schmale Straße entlang, ihren Rucksack lässig über die rechte Schulter geworfen. Sie war gezwungen gewesen, einen Umweg zu fahren, damit es von der Schule aus aussah, als ob sie tatsächlich nachhause fahren würde. Jetzt war es bereits früher Nachmittag und sie beeilte sich nach dem Grundsatz: Je früher, desto besser.
 
Nach einer guten Stunde Fahrt kam das Eingangstor zur versteckten Basis in Sicht und Lia begann, sich zu überlegen, wie sie in die Basis ohne Keycard hineinkäme und kam dann auf eine Idee: Sie beeinflusste die Wächter unter Aufbietung ihres vollen telepathischen Potentials und war so in der Lage, unbehelligt in die SEED-Basis vorzudringen.
 
Zuerst lief sie etwas ziellos durch die ihr unbekannten Gänge, bis sie plötzlich einem bekannten Gesicht begegnete: Cindy! Das war ihre Gelegenheit! Sie verbarg sich in einer Ecke und handelte:
Sie verfolgte das Kind auf seinem Weg durch die Basis, denn wo Cindy war, war meist auch Chris nicht weit. Scheinbar endlos ging der Weg durch lange, unter- und überirdische Gänge, bis sie vor einer Art Besprechungsraum zu Stehen kamen, aus dem man viele Stimmen hören konnte und in dem sich offenbar viele Leute aufhielten. Unauffällig schlich sie sich hinein, um herauszufinden, was hier vorging und wo ihr Bruder sich befand.
 
Im halbdunklen Raum standen viele Techniker, Aktivisten und Planer. Sie hörten einem dicken, selbstgefällig wirkenden Mann zu, der auf einer Art Bühne stand. Hinter ihm wurde von einem Videobeamer eine Powerpointfolie nach der anderen auf die Wand projiziert. Lia drängte sich ein wenig weiter vor, um zu sehen wer noch aller am Podium war und entdeckte zu ihrem Erstaunen, dass sich auch Chris gemeinsam mit Cindy dort befand. Was tut er da oben? Er wird doch nicht etwa auch so wie Fettklops neben ihm zu sülzen anfangen?', dachte sie verdutzt. Neugierig schob sie sich noch etwas weiter vor, stellte sich in die Schatten und hörte zu.
 
„[…] Ich bin sehr stolz, heute hier vor Ihnen sprechen und neben mir Chris Hawken, den ehemaligen Avatar der Zeit und TI-1 Telepath wissen zu dürfen. Wir haben es allein seinen Anstrengungen zu verdanken, dass die Organisation nun einen TI-2 und neuen Avatar der Zeit, Juna Ariyoshi, hat.
Natürlich ist es uns zu verdanken, dass dieser alte Titel überhaupt im Geheimen trotz aller Wirren weitergeführt werden konnte. Ich persönlich habe vor etwas mehr als 5 Jahren den jungen Mr. Hawken in Irland ausfindig gemacht und ihm diese Position angetragen. Seither gehört er zu unserer Organisation und hat im wahrsten Sinne des Wortes alle seine Kräfte in den Dienst unserer Sache gestellt. Ich wage es gar nicht, davon zu sprechen, wie viel er dafür wohl aufgegeben hat. [..]“
 
Lia stellte es doch wahrlich alle Haare auf. Der hat gut reden. Steht da, dick und wohlgenährt und sicher gut mit Geld unterfüttert und lobt meinen Bruder, ohne vermutlich auch nur die Spur einer Ahnung zu haben, was alles Chris dafür geopfert hat. Dabei bräuchte er ihn doch nur anzuschauen. Aber dafür ist er sich sicher zu fein und es ist ihm bestimmt absolut nicht genehm, demjenigen in die Augen schauen zu müssen, der um seiner Sache willen seine Gesundheit, seine Heimat und seine Familie aufgegeben hat!' Während der Redner weiter sprach, kam in Lia die heiße Wut hoch: für so etwas hatte sich Chris aufgeopfert!? Ja, war er denn völlig verrückt? Der Gipfel war die Selbstgefälligkeit des Redners! Der stand dort, als hätte er das alles gemacht und ließ den jungen Mann im Rollstuhl neben sich links liegen! Es war genug!
 
Sie drängte sich wütend durch die Leute, stürmte an den Securities vorbei auf die Plattform und rief wütend: „Es ist doch wirklich eine Schande, dass es Leute wie Sie gibt! Und Chris hat für Leute wie Sie alles aufgegeben und Sie nehmen ihn nicht einmal wirklich wahr! Eine wahre Schande ist das!“ Alles hielt die Luft an, als Lia zu ihrem Bruder herumwirbelte und ihn auf Irisch anfuhr: „Es ist wirklich beklagenswert, a dheartháir, dass du alles wegen Affen wie diesen hier aufgegeben hast! Er steht herum, beweihräuchert sich selber, anstatt dass er dir die Ehre gibt, die dir gebühren würde! Ja sag, spinnst du denn total? Wir müssen daheim schauen, wie wir über die Runden kommen und ich muss Aufgaben übernehmen, für die ich nie ausgebildet wurde und du? Du gibst alles auf - inklusive deiner geliebten Schwester und deiner Gesundheit - für diese Laffen hier!? Schämst du dich nicht dafür!? Das ist doch absolut peinlich und verachtenswert!
 
Während Lias Ausbruch waren mehrere Securities auf die Bühne gekommen. Einer von ihnen wollte dieses unverschämte Gör fangen und in Handschellen legen. Er ging von hinten auf sie zu und wollte sie überraschen und festhalten. Er hatte sie fast erwischt, da wirbelte das Mädchen halb herum. Sie starrte ihn an und sagte in einem leisen, gefährlichen Unterton: „Lass ja deine Finger von mir! Das ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir!“ Plötzlich gab es einen sehr hellen, blauen Blitz, ein Geräusch wie ein Peitschenschlag erschreckte die Zuschauer und der Angreifer flog in weitem Bogen durch den Raum und landete mit verbrannten Händen in einer Gruppe erschrockener Menschen, die sofort um einige Meter zurückwichen.
In der nach Ozon stinkenden Luft machten die Männer ebenfalls einen schnellen Rückzug, während Lia sich ihrem Bruder zuwandte und auf ihn mit einer erneuten Schimpftirade losging. Abrupt holte sie aus und - klatsch! - hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Chris regte sich nicht im Geringsten, obwohl nun auf seiner linken Wange der feuerrote Abdruck einer Hand prangte. Erst als Lia ein zweites Mal ausholte, richtete er sich plötzlich auf und fasste mit erstaunlicher Geschwindigkeit und eisernem Griff nach ihren Handgelenken.
 
Lia wehrte sich wütend. „Lass mich los! Du sollst mich loslassen!“ Aber Chris ließ sie nicht los. Er hielt ihre Handgelenke fest und wie am Tag zuvor, zog er sie zu sich, bis ihr Widerstand brach und sie sich an seine Schulter fallen ließ. Cindy, die diese Szene argwöhnisch beobachtet hatte, wollte sich einmischen, da hob Chris eine Hand: Nein. Halt dich da raus, es ist besser für alle Beteiligten. Das Chaos ist so schon groß genug!' Lia kauerte zitternd an seiner Schulter und er umarmte sie beruhigend, wohl wissend, dass er den Zorn seiner Schwester nur so brechen konnte.
Als er spürte, dass sie sich etwas beruhigt hatte und wieder klar denken konnte, hob er ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Er sah sie traurig an: Was sollte diese Szene, hm? Was ist los mit dir, Kleines? Was ist passiert?' Sie antwortete ihm nicht, aber ihm genügte ein Blick in ihre Augen, um zu erkennen, was mit seiner Schwester los war. Sie war völlig außer sich vor Ärger über den Redner und das Unrecht, das er ihrer Meinung nach ihrem Bruder antat. Dazu kamen noch immer die alte Wut und der alte Schmerz über sein Weggehen.
Nach einer Weile hatte sich Lia halbwegs beruhigt und war dem Zureden ihres Bruders wieder ansatzweise zugänglich. Daher bat Chris seine Schwester: Geh mit Cindy nach nebenan, ich werde versuchen, hier das Chaos zu beseitigen und dann zu dir kommen und mich um dich kümmern. In Ordnung?' Das junge Mädchen nickte kläglich und ließ sich widerstandslos in einen ruhigen Nebenraum führen. Cindy kehrte danach zu Chris zurück, um ihm bei der Auflösung der Versammlung zu helfen.
 
Lia ließ sich zuerst auf einen Sessel sinken, aber nach einer Weile wurde sie nervös. Um sich abzureagieren, ging sie zuerst hin und her, etwas später zum Fenster und lehnte sich, aus dem Fenster starrend, auf das Fensterbrett, während ihr die Tränen die Wangen herunter rannen. Nach einer kleinen Ewigkeit hörte sie die Tür hinter sich öffnen und schließen, aber sie drehte sich nicht um. Es war ihr inzwischen so ziemlich egal, wer da kam oder nicht. Sie war von ihrem Gefühlsausbruch erschöpft und ausgelaugt.
 
„Heh, Lia-san, da will wer mit dir reden! Dreh dich gefälligst um!“, riss sie Cindy aus den Gedanken. „'Gefälligst' tue ich gar nichts, Rotschopf! Wenn dieser Jemand mit mir reden will, dann soll er oder sie es selber tun.“ Sie seufzte und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
Cindy-chan, schweig dich am besten absolut aus. Das ist eine Angelegenheit, die ich selber mit Lia klären muss. Da hast du nichts darin zu suchen.' Das war Chris! Sie wirbelte herum.
Ihr Bruder hatte Cindy gerade zur Räson gebracht und bedeutete ihr, sich unauffällig zurückzuziehen, während er mit seiner Schwester sprach. Daraufhin ließ sich Cindy schmollend auf einen Sessel plumpsen. Dann wandte er sich seiner Schwester zu.
 
Chris richtete sich halb auf und sah seiner Schwester ins Gesicht. Das junge Mädchen war völlig verweint und erschöpft von ihrer Gefühlsentladung, ihr helles Kleid war völlig verknittert. Aber so war die Chance am größten, dass sie ihm zuhören und ihn verstehen würde. Eine Weile schwiegen sich die Geschwister an, dann drehte sich Lia zum Fenster um und sagte leise: „Es ist schon komisch: Da kommt man nach Japan und findet seinen Bruder wieder. Aber in welchem Zustand? Chris, bitte, sei ehrlich, sag, was ist mit dir passiert und wie konntest du dich auf so etwas einlassen, im vollen Wissen, was es dir antun würde? Bitte, erkläre mir! Ich höre dir zu.“
Ich glaube, du wirst besser verstehen, wenn ich anstatt lange zu reden, dir meine Erinnerungen übermittle. So wie es für mich damals war und wie es kam, dass ich so bin, wie du mich jetzt vor dir siehst. Okay?' Lia nickte schweigend und ließ ihre telepathischen Schilde herunter.
 
Sie war nicht auf diesen Ansturm aus Gefühlen, Erinnerungen und Emotionen gefasst, aber nachdem sie kurz fast erschlagen von dem starken Rapport mit ihrem Bruder war, begann sie langsam, zu begreifen und nachzuvollziehen. Sie verstand, welch harten inneren Kampf er vor fast sechs Jahren ausgefochten hatte. Er hatte sich zwischen zwei Dingen entscheiden müssen: Entweder verließ er seine Heimat, seine Familie und seine geliebte kleine Schwester, um Avatar der Zeit zu werden, oder er würde zusehen müssen, wie die Erde, ihrer aller Heimatplanet, langsam zugrunde ging. Sie alle hätten dann auf einer sterbenden Welt dahinvegetiert. Er hatte darunter gelitten, seiner Schwester die Gründe seines Handelns nicht verständlich machen zu können, obwohl er ihre wilde Pein gespürt und sich gewünscht hatte, es ihr klarmachen zu können, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben könnte. Nun verstand Lia endlich seine Wahl.
Sie folgte den Jahren seiner Arbeit als Avatar der Zeit und empfand seinen Schock nach, als er mit 17 Jahren begreifen hatte müssen, dass er nie wieder würde tanzen können und dass er ab jetzt an den Rollstuhl gefesselt war, weil die intensive Psi-Arbeit ihren Preis an seinem Körper forderte. Auch sah sie, wie er Cindy angenommen hatte und wie gerne er das freche Mädchen hatte: Seiner Meinung nach verbarg sich unter der harten Schale ein weicher, gutherziger Kern, außerdem erinnerte sie ihn an Lia.
Der Rapport schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Chris den Kontakt beendete und ihr sanft vermittelte: Verstehst du jetzt? Weißt du jetzt wie schwer es mir fiel? Ich hätte euch nie alleine gelassen, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Aber die gab es nicht.'
 
Lia klammerte sich kurz ans Fensterbrett, atmete tief durch und drehte sich um. Der Ausdruck in ihren tiefblauen Augen war eine Mischung aus Mitleid, Angst, Schmerz und Liebe. Dann löste sie sich vom Fenster, lief zu ihrem Bruder hin, sank an der Seite seines Rollstuhles auf die Knie und umfasste seinen Arm.
„Bitte verzeih' mir, es tut mir so leid! Ich hab es nicht gewusst! Es tut mir so leid!“, stammelte sie berührt. „Du musst mich für so schlecht halten, weil ich mich dir gegenüber so mies benommen habe! Ich weiß, ich habe meine Wut nicht unter Kontrolle gehabt und dich geschlagen. Ich schäme mich dafür, bitte verzeih mir!“ Sie senkte den Kopf.
 
Cindy schnaubte verächtlich. Die Tussi hat ja eine Gabe für das Theatralische. Wie kann Chris nur mit so einer verwandt sein und sie auch noch gern haben? Zuerst scheuert sie ihm eine und dann erwartet sie auch noch, dass er ihr verzeiht! Was glaubt sie denn was sie ist? Sie ist ja eigentlich nicht mehr als eine kleine dahergelaufene Göre von weiß Gott woher! Chris dagegen ist der ehemalige Avatar der Zeit und TI-1!', dachte sie abfällig.
 
Eine Weile lang regte Chris sich nicht, dann legte er ihr eine Hand aufs Haar. Ist schon gut. Ich bin dir nicht böse, weil ich verstehe, warum du im Zorn alle Manieren und Regeln vergessen hast. Versprich mir nur eins…' Lia hob den Kopf und sah ihren Bruder fragend an. Versuch zumindest ansatzweise, deine Gefühle im Griff zu behalten. Es ist gesünder für alle Beteiligten.' Er lächelte schief und Lia nickte. „Versprech' ich dir, aber nur wenn du mir auch was versprichst.“ Er hob eine Augenbraue. Was?' - „Dass wir uns nicht wieder aus den Augen verlieren und, solange ich hier in Japan bin, dass wir uns treffen und auch nachher in Kontakt bleiben. Ich hab dich total vermisst, und ich glaube, wir beide haben viel nachzuholen.“ - Das Versprechen kannst du haben, das möchte ich nämlich auch. Wir haben uns sicher viel zu erzählen und außerdem bin ich neugierig, was sich daheim alles getan hat.'
Da sprang Lia erleichtert lächelnd auf und fragte: „Darf ich dich umarmen? Oder ist dir das unangenehm?“ Er zögerte kurz und antwortete dann: Wenn du vorsichtig bist, ja. Aber nicht zu fest, du tust mir sonst weh.' Also beugte sich das junge Mädchen zu ihrem Bruder herunter und umarmte ihn vorsichtig. Zuerst blieb der junge Mann ruhig sitzen, dann - für Lia und Cindy völlig unvermutet - richtete er sich auf und erwiderte die Umarmung seiner Schwester.
 
Lia:
Es tut gut, in seinen Armen zu liegen! Ich bin froh, dass er mir verzeiht, weil ich mich ja eigentlich fürchterlich benommen habe. Daheim hätte es wohl eine saftige Strafe für diese Beleidigung gesetzt, vor allem weil Chris ja mein Bewahrer - in gewisser Hinsicht also mein Vorgesetzter - ist.
Dennoch tut es mir im Herzen weh, ihn so zu sehen. Seine Arbeit als Avatar der Zeit hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Das ist nicht mehr der fröhliche, herzliche und doch ruhige Junge mit der Liebe zum Tanz, an den ich mich erinnere.
Er ist total ernst und in sich gekehrt und tanzen kann er auch nicht mehr. Er ist ein an den Rollstuhl gefesseltes menschliches Wrack und wenn es nicht Cindy gäbe, die sich offensichtlich liebevoll um ihn kümmert, wer weiß, was aus ihm geworden wäre! Der Anblick allein ist für mich schon schockierend, aber ich werde mich wohl oder übel daran gewöhnen müssen. Ich akzeptiere zwar seine Entscheidung und seine Motive dafür… recht müssen sie mir deswegen trotzdem nicht sein! Er hat sich und mich damit um vieles gebracht.
 
Mich rührt es aber von Herzen zu wissen, wie viel er in seiner Seele noch immer für mich empfindet, sich um mich sorgt und für mich da sein will.
Das erinnert mich so sehr an früher, als wir beide Kinder waren. Chris war immer für mich da und wir waren selten voneinander getrennt. Obwohl wir charakterlich so unterschiedlich sind, kamen wir immer hervorragend miteinander aus.
 
Mein Bruder hat sich immer sehr um mich gekümmert und mir in meinen kleinen und großen Sorgen beigestanden. Als ich mit zehn Jahren nach Galway an dieselbe Secondary School kam wie er, sah er es als seine Aufgabe, mich jeden Tag sicher vor meiner Klasse abzuliefern und erst dann zu seiner eigenen weiter zu gehen. Nach der Schule warteten wir immer aufeinander und fuhren dann gemeinsam heim.
Von Galway bis zu unserem Dorf dauert es mit dem Bus ca. 1 Stunde, dann mit dem Fahrrad noch einmal eine halbe Stunde bis zu unserem Haus am Meer. Das macht in Summe täglich 3 Stunden für den Schulweg.
Chris hätte es sich wohl nie verziehen, wenn ich diesen Weg einmal alleine fahren musste und mir dabei etwas passiert wäre, da er immer sehr auf meine Sicherheit bedacht war.
 
Seán mac Tomás Cheallaigh, der ténérezu, hat den sich daraus ergebenden Vorteil sehr schnell begriffen und als Chris dann mit 14 Bewahrer wurde, bestimmte er ihn zu meinem Bewahrer. Eine weise Entscheidung, wie sich in Folge herausstellen sollte. Wenn mein Bruder mir etwas befahl, dann führte ich diese Anweisung ohne Widerrede sofort aus, und durch sein Bestreben, mich immer in Sicherheit zu wissen, bewahrte er mich vor unnötigen Gefahren, egal ob sie nun irdischer oder sonstiger Natur waren.
Als ich dann das erste Mal im Kreis dabei sein durfte, zeigte sich rasch, dass Chris' guter Einfluss auf mich etliche der üblichen Probleme, die sich mit einem Anfänger oder Kind im Kreis normalerweise ergeben, ausschaltete.
Dies führte dazu, dass ich in den Augen der anderen schneller einsatzfähig war und man beginnen konnte, mich auf meine zukünftige Position als sou-ténéresteis - Unterbewahrerin - vorzubereiten. Leider machte Chris' Abreise nach Japan all diese Pläne zunichte und nun bin ich diejenige, die einmal Seáns Nachfolge im Kreis und vielleicht auch im Rat antreten wird, wenn seine Gesundheit endgültig versagt. Vorher wird er mich sicher nicht lassen…
 
„Chris?“ - Hm?' - „Was ist eigentlich der Avatar der Zeit? Juna sagte, sie sei dein Nachfolger in dieser Position. Was bedeutet diese Position eigentlich? Ich vermute, sie ist anstrengend, wenn sie dir die Gesundheit ruiniert hat.“
Chris lehnte sich im Rollstuhl zurück. Lias Frage hatte ihn völlig unvorbereitet erwischt und er fragte sich, wie er die Frage seiner Schwester am besten beantworten konnte. Lia sah ihren Bruder mit schief gelegtem Kopf und fragendem Blick an.
 
Der junge Mann nutzte die Zeit, um nachzudenken, während seine Schwester sich eine Sitzgelegenheit zu suchen begann. Nach kurzer Zeit hatte Lia einen Sessel nahe dem Fenster entdeckt, den sie ihrem Bruder gegenüber hinstellte, sich drauf setzte und in Chris' Griffweite rückte.
Auch Cindy war immer näher gerückt. Sie musste vor sich zugeben, dass sie dieses Thema auch sehr interessierte und es schien, als ob Chris seiner jüngeren Schwester gegenüber wesentlich offener sprach als mit irgendjemand sonst.
 
Chris atmete einmal tief durch und ließ sich wieder im Rollstuhl zusammensacken, um Kraft zu sparen.
Der Avatar der Zeit ist ein Mensch mit hohem PSI-Potential, der mit der Erde im Einklang steht und für sie kämpft. In diesem Kampf kann dieser Mensch auf die Erdenergien zurückgreifen, um seine eigene Kraft damit zu unterstützen. Voraussetzung dafür ist, dass man entweder eine natürliche Affinität dazu hat - wie ich - oder dass man mit dem „Tropfen der Zeit“ etwas anfangen kann - wie es Juna soll.'
Lia hob eine Augenbraue in perfekter Imitation ihres Bruders:„Tropfen der Zeit? Du meinst diesen tropfenförmigen Stein, den sie auf der Stirn trägt?“
Ja, denn er ist ein Artefakt einer uralten Zivilisation, ein Stern, der einem erlaubt, sich der Kräfte der Erde zu bedienen. Zusätzlich verfügt der Tropfen auch über eigene Kräfte. Das Problem ist nur, dass Juna, die Törichte, noch immer nicht vollständig erwacht ist und daher auf das volle Potential ihrer Kräfte keinen Zugriff hat. Sie…'
Cindy unterbrach ihn ärgerlich: „Du kümmerst dich jetzt bald ein Jahr um sie und sie ist noch immer zu dämlich, zu kapieren, was du von ihr willst. Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass es schwachsinnig war, sie als deine Nachfolgerin zu wählen. Sie hört dir ja nicht einmal zu und wenn, dann kapiert sie nicht, was du ihr zu sagen versuchst! Warum bist du nicht Avatar geblieben!?“
Cindy… Es gab nicht soviel Auswahl an in Frage kommenden Leuten! Wäre Lia da gewesen, hätte ich vielleicht sie gewählt, wenn es wirklich nicht mehr anders gegangen wäre, aber die Dinge sind, wie sie sind. Wir haben dieses Thema schon hundertmal durchdiskutiert! Außerdem weißt gerade du genau, dass mein Körper zu schwach ist, die Strapazen noch länger zu ertragen.'
 
Lia mischte sich ein: „Welche Strapazen, Chris?“
Als Avatar ist man sowohl physisch als auch psychisch bis aufs Äußerste gefordert. Einerseits ist PSI-Arbeit, wie du ja weißt, sehr anstrengend, andererseits ist der Kampf gegen die Raaja etwas, wofür man körperlich fit und beweglich sein muss. Das zehrt natürlich auch an den Ressourcen des Körpers. Bis ich 17 war, ging es auch noch gut. Ich war ja von daheim her gut durchtrainiert, flexibel und beweglich - eben ein Tänzer und ein geschulter ténérezu. Leider bemerkte ich zu spät, wie sehr diese Arbeit an mir zehrte - bis ich an den Rollstuhl gefesselt war. Ich kann dieses Handicap durch meine Fähigkeit der Astralprojektion gut ausgleichen, das Problem ist allerdings, dass dies meinen physischen Körper wiederum Energie und Kraft entzieht, die er zum Leben braucht. Letztes Frühjahr war es dann so weit, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als einen Nachfolger für mich zu finden, der den Tropfen der Zeit tragen und meine Aufgaben übernehmen konnte.' Er seufzte traurig.
Hätte ich mehr Auswahl gehabt, ich hätte sicher nicht Juna Ariyoshi gewählt, weil sie der materiellen Welt zu sehr verhaftet ist und mit Konzepten, die dir, Cindy oder mir vertraut sind, überhaupt nichts anfangen kann. Das fängt bei simpler Telepathie an und endet bei den Raaja und den Aufgaben des Avatars. Von der Arbeit in einem Kreis in den Steinkreisen will ich gar nicht erst reden, obwohl es hier direkt unter der Basis ein uraltes Heiligtum gibt, in welchem man effektiv arbeiten könnte.
Dies wiederum bedeutet, dass ich meine Aufgaben noch nicht völlig übergeben kann und mich wegen Junas Angst und Unwissenheit schon mehrmals um ihretwillen in Lebensgefahr begeben musste, um uns alle vor großem Unglück zu bewahren. Du kannst dir natürlich vorstellen, wie „glücklich“ die Leute bei SEED darüber sind. Teresa Wong - ein leitendes Mitglied der Organisation, mit der ich recht gut auskomme und zusammenarbeiten kann - versteht noch am meisten davon, während die anderen Cindy, Juna und mich eher als etwas exotisches, schon fast gefährliches ansehen.'
 
Lia sah ihren Bruder nachdenklich an und fragte: „Sag, hast du schon mal darüber nachgedacht, woran es liegen könnte, dass Juna dir gedanklich nicht folgen kann? Wenn sie mir gegenüber über dich spricht, sagt sie, dass sie ja wolle, aber sie könne dir einfach nicht folgen und wisse nicht, auf was du hinaus willst. Ich glaube, ihr sind die einfachsten Konzepte, die uns Telepathen absolut klar sind, nicht verständlich. Woher auch, wenn sie diese Art Kräfte erst durch den Stein bekommen hat und nie diesbezüglich ausgebildet wurde? Kann es sein, dass du zuviel Vorwissen voraussetzt?“ Chris hob den Kopf und erwiderte ihren Blick. Sprich weiter. Vielleicht hilft uns deine Idee, das Problem aus der Welt zu schaffen, damit Juna endlich selbständig agieren kann.'
„Du müsstest bei ihr absolut von Null anfangen, was klarerweise nicht geht, wenn der Handlungsbedarf so dringend war, wie du es darstellst. Was wäre nun, wenn ich ihr diesbezüglich ein wenig Nachhilfe gebe? Nichts gegen dich und deine Anstrengungen, Brüderchen, aber ich glaube, dass du durch deine Zeit als Bewahrer und Avatar einfach den Blick dafür verloren hast, wie man einen Anfänger packen muss und wo man mit dem Training ansetzen muss. Was meinst du? Wäre das eine brauchbare Idee? Vor allem: Wäre das machbar?“
 
Chris dachte eine Weile nach. Die Idee seiner Schwester schien ihm gar nicht so schlecht. Fragte sich nur, wie man sie umsetzen sollte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was raus käme, wenn man so etwas vor der Nase von Junas Mutter diskutierte oder übte. Jeder Nichttelepath hatte mit solchen Dingen Vorbehalte und Ängste und Frau Ariyoshi war sicherlich nicht die Erste und garantiert nicht die Letzte.
 
Lia war seinen Gedanken gefolgt und übermittelte ihm nun: Lass mich nur machen, Chris! Ich habe da schon einen Geistesblitz!' Sie lachte leise, während er nur amüsiert schnaubte. Ich hoffe nur, dein Geistesblitz ist für uns alle gesund!'
 
Cindy konnte nicht fassen, was sich hier vor ihren Augen abspielte. Dieses Mädchen wagt es doch tatsächlich, Chris Vorschriften machen zu wollen! Ist er TI-1 oder sie? Was hat sie an sich, das mir fehlt, das ihn dazu bewegt, aus sich heraus zu gehen und über ihre Witze zu lachen?'
Da sie Waise war und vor dem Tod ihrer Eltern in zerrütteten Familienverhältnissen gelebt hatte, kam ihr nicht einmal ansatzweise in den Sinn, dass die enge Beziehung zwischen Lia und Chris auf ihre Familienbande zurückzuführen sein könnte. Sie war der Meinung, dass Lia auf irgendeine Art und Weise Chris bezirzte, um ihn ihr schlussendlich wegnehmen zu können. Das würde sie zu verhindern wissen, sie wollte nicht wieder mutterseelenallein dastehen!
 
Plötzlich klopfte es und eine Frau steckte den Kopf zur Türe herein. „Störe ich?“ Cindy übermittelte mit monotoner Stimme Chris' Antwort: „Nein, komm nur herein. Was gibt es, Teresa-san?“
Daraufhin kam die schlanke Halbchinesin ins Zimmer herein. Sie hatte grüne Augen und rotbraune, jungenhaft kurze Haare und einen geschmeidigen, muskulösen Körper. Lia schätzte sie auf ca. 1,70m Körpergröße. Teresa Wong war die einzige Person in SEED-Uniform in diesem Raum, alle anderen - trotz ihrer Verbindung zu SEED - waren Zivilisten.
Chris wandte sich seiner Schwester zu, ließ aber Cindy höflichkeitshalber übersetzen: „Lia-chan, das ist Teresa Wong, ein führendes Mitglied von SEED, genauer gesagt von der Abteilung Fernost. Teresa-san, das ist meine Schwester Lia. Ich hoffe, sie hat dich mit ihrer Szene von vorhin nicht allzu sehr erschreckt. Sie kann etwas explosiv werden, wenn ihr etwas nicht paßt.“
Teresa lachte: „Ja, das habe ich bemerkt, Chris-san. - Hallo Cindy-san! - Ich habe hier einige Unterlagen, die dich sehr interessieren dürften. Ich bin ja vorher nicht mehr dazu gekommen, sie dir zu unterbreiten. Außerdem kam mir bei Lias „Performance“ mit den Securities eine Idee und ich dachte mir, dass du diese sicher gerne hören möchtest.“ Sie ließ sich gemütlich auf dem letzten verbliebenen Sessel nieder, rückte diesen zum Tisch und legte den Ordner in ihrer Hand auf die Tischplatte.
 
Lia war die erste, die mitsamt Sessel zum Tisch aufrückte, vor lauter Neugier auf ihren Bruder vergessend, der beschloss, ihr bei Gelegenheit noch ein Wörtchen darüber zu sagen. Cindy stand ebenfalls auf und ging zu Chris. Als sie sich vergewissert hatte, dass er noch nicht allzu erschöpft war und der Diskussion aufmerksam folgen konnte, schob sie seinen Rollstuhl zum Tisch, neben Teresa. Erst dann holte sie ihren eigenen Sessel und setzte sich neben ihn, so dass sie einen guten Blick auf die Unterlagen hatte.
 
Als alle endlich saßen, nahm die Chinesin den Ordner und legte ihn vorsichtig in Chris' Schoß, so dass dieser leichter lesen konnte. Die nächsten Minuten verliefen in gespanntem Schweigen, während er die in Japanisch geschriebenen Seiten überflog. Seine zunehmende Unruhe und Anspannung entging keinem der Anwesenden, am allerwenigsten den anderen beiden Telepathen.
„Das ist beunruhigend. Und Juna ist nicht in der Lage, irgendetwas tun zu können, weil sie noch nicht vollständig erwacht ist. Beunruhigend!“, übermittelte er durch Cindy, als er fertig gelesen hatte. Teresa sah ihn an: „Du stimmst mir also zu?“ Er nickte.
„Sag schon, Chris, was ist los? Ich kann nicht so schnell lesen und bin schon nach einer Seite ausgestiegen! Außerdem bist du mit dem Ellenbogen ständig über dem Blatt gehangen, so dass ich die Hälfte ohnehin nicht lesen konnte!“, drängte Lia ungeduldig.
 
Chris:
Ich zögere, meiner Schwester diese Information mitzuteilen, da ich sie nicht in diese Angelegenheit hineinziehen will. Ihre Sicherheit ist mir wichtig und es wäre eine Schande, wenn ihr etwas geschähe, nur weil ich sie in etwas hineingezogen habe, was gar nicht für sie gedacht ist.
Was Teresa mir da gegeben hat, sind Auswertungen aus dem Überwachungsraum des Nemetons, mit denen sie nur wenig anfangen kann. Teile der Tabellen sind zwar für sie klar, aber diese seltsamen Fluktuationen im Energieniveau des Steinkreises sagen ihr nichts, mir dafür umso mehr. Ein weiteres beunruhigendes Faktum ist, dass auch die Linien, die von Osaka, Kobe, Tokio und Hiroshima kommen, flackern, als ob ihnen die Energie abgezogen würde.
Das kann nur zweierlei heißen: An den Linien sitzen Raaja, die ihnen die Energie abzapfen und hier im Zentrum fehlt eindeutig der Griff eines guten TI-Telepathen. Ich bin zu krank und Juna unfähig und noch nicht erwacht. Wenn wir nicht aufpassen, wird das Problem schnell eskalieren. Beunruhigende Aussichten, fürwahr…
 
Lia und Cindy wurden langsam kribbelig. Chris machte eine ernste Miene, sagte aber kein Wort der Erläuterung. Dann sah er plötzlich auf: Macht euch keine Sorgen, Mädchen, es ist nichts, das euch beide betreffen kann. Es ist etwas Internes.' Gleichzeitig blockte er jeden Versuch Lias, mehr Informationen aus ihm herauszubekommen. Da auch Cindy dies mitbekam, versuchte sie es erst gar nicht.
Teresa wandte sich an Chris: „Hast du eine Idee, wie wir das Problem beheben könnten?“ Er sah sie an: „Wäre ich kräftig genug, würde ich es selber versuchen. Wäre Juna bereits erwacht, hätten wir das Problem erst gar nicht. Wenn das so weiter geht, werde ich doch selber den Versuch wagen müssen, den Kreis zu stabilisieren - koste es auch mein Leben!“ Cindy fuhr zusammen, als sie das übersetzt hatte. „Chris, bitte! Du bist schon schwach genug, wenn du das probierst, bringt es dich sicher um!“ Lia starrte ihren Bruder nur entsetzt an und brachte kein Wort heraus. Das Problem, welcher Natur es auch immer war, war scheinbar etwas Ernstes.
Teresa sah Chris eine Weile an und sagte dann: „Du erinnerst dich, dass ich sagte, ich hätte eine Idee?“ Er nickte und sie fuhr fort: „Ich habe deine Schwester vorhin in Aktion gesehen. Ihre Kräfte wären genau das, was wir im Moment brauchen. Was hältst du davon, dass sie uns unterstützt, bis TI-2 - Juna - einsatzfähig ist? Natürlich wäre sie unter deiner Aufsicht, da du sie ja offenbar unter Kontrolle hast. Sie könnte zum Beispiel Juna unterstützen oder dir ihre Kraft leihen. Oder..“ Sie wollte fortfahren, unterbrach sich aber, als sie Chris' entsetzten Blick sah. „Was hast du? Du weißt genau, dass du unentbehrlich für uns bist, bis Juna erwacht ist, aber derzeit zu krank bist, um wirklich aktiv zu arbeiten!“ - „Teresa, das ist Wahnsinn! Lia ist kein Mitglied von SEED und wenn sie hier zu Schaden kommt, wer soll dann daheim ihre Position übernehmen?“ - „Genauso ist es Wahnsinn, wenn du hier in diesem Zustand arbeitest! Wie wäre es, wenn wir einfach Lia selber fragen, ob sie das will?“
Sie wandte sich Lia zu: „Lia, wärest du bereit, unter Chris uns zu unterstützen? Du hast ja bereits mehr als genug mitbekommen. Deine Fähigkeiten wären uns eine große Hilfe, wirklich!“
 
Die junge Irin sah verwirrt vom einen zum anderen. Wo war sie hier nur hineingeraten? Andererseits klang das nach einem feinen Abenteuer, also warum nicht? Sie hatte erkannt, dass SEED offenbar einen Mangel an guten Telepathen hatte und auf Cindy konnte man nicht wirklich zählen. Das Kind hatte viel rohes Talent, aber herzlich wenig Ausbildung und stellte daher eher eine Gefahr sowohl für sich als auch für andere dar.
 
„Wenn mein Bewahrer es wünscht, werde ich es tun.“ Fragender Blick von Teresa. „Chris ist mein Bewahrer, ich unterstehe hier in Japan seiner Aufsicht. Es hängt daher von ihm ab, ob ich darf oder nicht.“ Nun wandten sich alle ihm zu.
 
Er zögerte. Teresa hatte ihn genau dahin gesteuert, wo er eigentlich gar nicht hin wollte. Aber er sah auch die Wahrheit in ihren Worten. Schweren Herzens nickte er. „In Ordnung, aber nur unter einer Bedingung: Sie wird nur mit mir gemeinsam arbeiten und auf keine Solomissionen gehen.“ - „Soll recht sein, Chris. Du weißt am besten, wie man sie einsetzen kann.“
 
Keiner bemerkte Cindys wütenden Blick und ihre rasende Eifersucht. In ihren Augen hatte eine dahergelaufene Ausländerin geschafft, was viele andere in Jahren nicht schafften. Zuerst Juna und nun diese Irin! Was in aller Welt war nur in Chris gefahren!?
Teresa war zufrieden mit sich und froh darüber, dass Chris offenbar in seiner Schwester eine wertvolle Verbündete hatte, die ihn unterstützen würde. Er alleine war sicherlich nicht mehr in der Lage, irgendwelche anstrengenden Einsätze ohne Unterstützung durchzuhalten, aber solange Juna nicht einsatzfähig war, musste es irgendwie gehen. Es war ärgerlich, dass TI-2 und er offenbar völlig aneinander vorbeiredeten und daher auch nichts weiterging.
Der dickköpfige junge Mann hatte sich wenigstens bereit erklärt, Lias Hilfe anzunehmen, wenn auch nur dann, wenn sie mit ihm gemeinsam auf Einsätze ging. Das war zumindest etwas. Der Kampf gegen die Raaja wurde immer härter und ein guter TI-Telepath fehlte jetzt schon sehr, was in Zukunft noch viel schlimmer werden würde, spätestens dann, wenn Chris endgültig zusammenbrach und Juna dann noch nicht erwacht war.
 
„Gut, also kann ich mich drauf verlassen, dass wenn wir dich oder Juna wieder brauchen, auch Lia kontaktiert werden soll?“ Chris nickte, auch wenn er alles andere als glücklich über diese Wendung der Dinge wirkte. „In Ordnung, ich werde die anderen davon unterrichten und ihre Meinung einholen.“ Damit erhob sich Teresa, nahm den Ordner wieder an sich und verließ mit zügigem Schritt den Raum.
 
Kaum war die Tür zu, platzte Cindy heraus: „Chris-san, geht es dir noch ganz gut!? Zuerst wählst du Juna aus, die sich als absolut töricht und dumm herausstellt und jetzt eine irische Wahnsinnige, die beinahe die Securities gegrillt hat und sich scheinbar nach Belieben Zugang zur Basis verschaffen kann! Sie hat dir den Kopf verdreht, gib's zu! Sie mag ja TI-Potential haben, aber wer sagt, dass sie es im Notfall einsetzen kann?“ Lias Augen verengten sich gefährlich, aber bevor sie auf Cindy losgehen konnte, schaltete sich Chris ein: Meine Schwester ist keine Wahnsinnige, außerdem hat sie im Unterschied zu Juna und dir ein formelles Training ihrer Fähigkeiten genossen und ist daher in der Lage, ihre Gefühle und ihren Körper strengster Disziplin zu unterwerfen. Abgesehen davon hast du dir ja schon mehrmals auf ähnliche Art Zugang hierher verschafft, also meckere nicht und pass auf, was du sagst. Wer weiß, ob sich deine Einstellung nicht einmal rächt?'
„Ich sehe keinen Beweis für irgendeine Disziplin, die sie haben soll, eher für das Gegenteil, wenn ich daran denke, wie sie in den letzten zwei Tagen mit dir umgegangen ist. Wer würde es wagen, dich zu schlagen?“
Lia fuhr auf: „Dummes Gör, wer erlaubt denn dir, so mit einem ténérezu zu reden!? Kehr' lieber einmal vor deiner eigenen Tür, bevor du alle anderen beschuldigst!“ Wütend machte sich Cindy bereit, mit ihren Kräften auf Lia loszugehen, wurde aber von ihr abgefangen, bevor sie irgendetwas ausrichten konnte. „Ich bin selber bald Bewahrerin, also hüte dich!“, fauchte Lia.
Ruhe, alle beide und runter mit den Energieniveaus! Die Luft ist geladen wie bei einem Gewitter!', fuhr Chris dazwischen. Die beiden Mädchen starrten sich wütend an, jede bereit, zuzuschlagen. Auseinander!', wiederholte er sich. Was soll diese kindische Streiterei? Es gibt wirklich Wichtigeres, als dass ihr zwei versucht, euch gegenseitig umzubringen. Ihr beide seid ja wie Hund und Katz, muss man euch auch noch trennen wie sie?'
 
Beide schnaubten, senkten ihre Energieniveaus und drehten einander beleidigt den Rücken zu. Chris seufzte. Na das ging ja gut los: Cindy war offenbar eifersüchtig auf Lia, die darauf natürlich aggressiv reagierte. Wie sollte man da zusammenarbeiten? Er hoffte nur, dass die Zusammenarbeit von Juna und Lia besser funktionierte, sonst würde es ein ernsthaftes Problem geben.
Die ganze Affäre machte ihm ein schlechtes Gefühl und er ahnte, dass Cindy mit ihrem Temperament und ihrer wilden Eifersucht möglicherweise noch große Schwierigkeiten machen würde.
 
Chris:
Göttin und Herrin, bitte hilf, dass dieser Konflikt nicht im Ernstfall Menschenleben fordert… Mich beschleichen böse Vorahnungen, als wüsste ich, dass diese ganze Affäre uns vielleicht nur um Haaresbreite an einer Katastrophe vorbeiführt. Hoffentlich nicht! Die Probleme sind so schon zu viele, als dass man sie alleine bewältigen könnte!
 
Lia atmete tief durch und sah auf ihre Armbanduhr. „Ich glaube, ich muss los. Sonst fällt daheim auf, dass ich nicht in der Schule war.“ - Was?' - „Ich muss nachhause, man sucht mich sonst. Zumindest Juna ahnt sicher, wo ich war.“ Ihr Bruder sah sie beunruhigt an: Du hast die Schule geschwänzt?'
„War eh nur Turnen, kein Fach, in dem ich viel versäume. Ich hab gesagt, mir sei schlecht. Krieg bloß keine Krise!“, versuchte sie ihn zu beruhigen, denn seine Miene gefiel ihr gar nicht. Er zuckte ergeben die Schultern, da er wirklich nicht die Energie hatte, mit ihr auch noch darüber zu diskutieren. Na dann setz' dich in Bewegung! Der Weg durch die Basis ist lang, und ich möchte, dass du zumindest legal hier wieder hinausgehst. Bevor du gehst, komm aber noch kurz mit mir mit.' Er gab Cindy ein Zeichen, worauf das Kind aufstand und den Rollstuhl in Richtung Tür schob. „Steh nicht rum wie angewurzelt! Er will dass du kommst!“, zischte sie. Lia blieb nichts anderes übrig, als den beiden durch das Labyrinth der Gänge zu folgen, bis sie in einem ruhigen Gang ankamen. Cindy öffnete eine der Türen.
 
Als sie eintraten, verschlug es Lia fast den Atem. Der Raum war zwar eher klein, aber sehr hell und freundlich eingerichtet und dazu angenehm kühl. Die großen Fenster wurden von weißen Florvorhängen verdeckt, man konnte aber trotzdem leicht zum Wald, der die Basis umgab, hinüber sehen. Die Einrichtung war eher spartanisch, sie beschränkte sich auf Bett, Nachtkasten, Schreibtisch mit Schreibzeug, einem Notebook und einem Drucker darauf, zwei Kleiderkästen gegenüber dem Bett und einigen geschmackvollen Bildern an der Wand. Die einzige Zierde des Raumes waren zwei miteinander verbundene, reich verzierte Messingstangen am Fuße des Bettes, an denen ein reizendes Windspiel hing, das in dem leichten Luftzug, der durch ein gekipptes Fenster hereinkam, leise Töne erzeugte.
 
„Schön! Ist das dein Zimmer?“ - Ja. Es ist nicht viel, aber es reicht zum Leben.', lächelte er. Aber ich bin eigentlich weniger wegen der Raumbesichtigung mit dir hergekommen, sondern weil ich dir noch etwas geben will, bevor du heimfährst.' - „Was denn?“ - Ein wenig Proviant und ein paar Unterlagen.' - „Unterlagen? Proviant? Wofür?“
Das mentale Äquivalent von Chris' Lachen erfüllte den Raum: Ich zweifle daran, dass du heute bereits zu Mittag gegessen hast, außerdem sagte ich ja, ich wollte dich legal hier wieder herausbekommen! Du bekommst von mir ein paar Kekse, etwas zu trinken, eine Entschuldigung für die Schule und einen Schrieb, der dich berechtigt, hier ein- und auszugehen, bis Teresa dir deine eigene Berechtigungskarte organisiert hat.'
Das junge Mädchen glotzte ihren Bruder verdutzt an. Das ging ihr alles etwas zu schnell. Sie kam zu SEED wie die Jungfrau zum Kind! Heilige Maria, was würde Juna dazu sagen? Die würde vermutlich denken, ein mittleres Wunder oder auch eine mittlere Katastrophe - alles eine Frage des Blickwinkels - sei geschehen!
Schau dich ruhig um, es wird ein paar Minuten dauern.'
 
Lia ließ sich das nicht zweimal sagen, ging geradewegs auf das Windspiel zu und brachte es mit einer Hand zum Klingen. „So ein schöner Klang! Woher hast du es?“, wandte sie sich an ihren Bruder, der am Notebook saß und rasch einen Text hineintippte. Was, das Windspiel? Aus Kyoto und du kannst mir glauben, es war nicht billig.' - „So sieht es auch aus!“
Cindy nahm derweil die versprochenen Kekse und Saft aus einem der Kästen und stellte diese auf einen Beistelltisch. Dann holte sie noch Gläser und schenkte ein. „Darf ich?“, fragte Lia, als sie diese sah. Das Kind nickte und sie nahm eins der Gläser und trank daraus. „Ah, Apfelsaft! Richtiger Apfelsaft, nicht dieses Chemozeugs aus dem Geschäft! Ich nehme an, ihr kauft nur solchen Saft?“ „Ja.“, erwiderte Cindy. „Etwas anderes würde Chris gar nicht vertragen. Alles, was chemisch behandelt und vergiftet wurde, bekommt ihm ganz und gar nicht, er wird von so etwas ziemlich krank. Abgesehen davon, dass er es meist sowieso schon von vorneherein verweigert.“ Sie weidete sich an Lias bestürztem Blick. Na, das hast du nicht gewusst, oder?', spottete sie innerlich.
„Die Packung Kekse sollst du einstecken.“, fügte sie laut hinzu. „Danke.“, Lia nahm das Säckchen an sich und tat es in ihren Rucksack. Im selben Moment sprang der Drucker an und spuckte zwei A4-Seiten aus.
 
Als Lia von ihrer Packerei wieder aufsah, war Chris vor ihr und hielt ihr die zwei Blätter hin. Sie nahm und überflog sie. Auf dem einen Blatt stand eine formelle Entschuldigung an die Schule, dass ihr vor dem Turnunterricht schlecht geworden sei. Das andere Blatt war eine Genehmigung mit Referenz, die ihr jederzeit zur Basis Zutritt verschaffte. Beide waren von ihm händisch unterschrieben worden: je einmal in japanischen Zeichen und einmal in seiner normalen Unterschrift.
Sie bedankte sich und legte die beiden Blätter in ihre Mappe, damit sie keine Falten oder Eselsohren bekamen. Dann verabschiedete sie sich von ihrem Bruder und ließ sich von einer widerwilligen Cindy wieder ins Freie hinausführen.
 
Sie schwang sich auf ihr Fahrrad, passierte den Schranken und fuhr, so schnell sie konnte, die Bergstraße in Richtung Kobe hinunter. Sie erfreute sich an dem dichten Wald und dem Wind, der durch ihre langen, hellen Haare brauste und ihr Kleid zum Flattern brachte. Manchmal wurde sie von einem Auto überholt oder es kam ihr eins entgegen, aber das kümmerte sie nicht, dafür war sie viel zu gut gelaunt. Sie ahnte nicht, dass ihr Bruder ihr von seinem Fenster aus besorgt hinterher sah.
„Lia-san, Gott sei Dank, da bist du endlich! Wir dachten schon, du wärest verschollen!“, wurde sie von Juna bei ihrer Ankunft daheim begrüßt. „Mutter, du kannst aufhören, dich zu sorgen! Hier ist sie! Zerzaust, rotwangig und offenbar bei bester Gesundheit!“ Junas Mutter kam aus dem Wohnzimmer gelaufen. „Lia-san, wo warst du? Wir haben uns große Sorgen gemacht!“
„Ich war bei… bei einem Freund. Wir haben uns verplaudert, das ist alles.“ Frau Ariyoshi runzelte die Stirn. Jetzt fing Lia auch schon an, herumzudrucksen wie Juna. Auch Juna wurde argwöhnisch. Da war etwas im Busch!
 
Als die beiden Mädchen abends im Zimmer über ihren Aufgaben saßen, nahm Lia ihre Mappe aus dem Rucksack. Beim Öffnen derselben fielen ihr die beiden Zettel heraus.
„Lia-san, dir ist da etwas rausgefallen! Warte, ich heb sie dir auf!“, sagte Juna und bückte sich, die Zettel aufzuheben. Aber als ihr Blick auf den Text darauf fiel, stutzte sie. „Wo warst du heute Nachmittag? Sicher nicht in der Schule, sonst könnte auf dem einen Zettel nicht das Logo von SEED sein!“ Sie las den Text genauer durch. „Du warst bei Chris? Was wollte er von dir? Sag bloß, du hast Schule geschwänzt!“ Lia wurde es heiß und kalt und ihr Gesicht wurde rot. Sie sah zu Boden: „Ja, hast du etwas dagegen?“ - „Schon. Diese Sache mit SEED ist gefährlich und unberechenbar. Es reicht, wenn ich wider Willen meinen Hals hinhalte, es musst nicht auch noch du hineingezogen werden, Lia-san!“
Die junge Irin sah auf: „Willst du mir den Umgang mit meinem Bruder verbieten?“
„Nein, aber dich warnen. Ich bin durch diese Leute schon in genug gefährliche Situationen geraten, dass es mir für mein Leben reicht und ich entnehme dem Brief von Chris, dass er dich auch angeworben hat! Jetzt ist bei ihm aber endgültig eine Schraube locker, oder!?
„Er war ja dagegen! Es war Teresa, die ihn überredet hat. Sie meinte, es wäre der Sache dienlich, da du noch nicht „erwacht“ seiest und Chris die Strapazen nicht mehr lange durchhält. Daraufhin hat er widerwillig zugestimmt, aber unter einer Bedingung: Dass ich nur dann auf Einsätze gehe, wenn er dabei ist. Anfangs hat er aber Teresa für leicht verrückt erklärt, wirklich, Juna-san! -
Ich habe übrigens mit ihm geredet und er hat erlaubt, dass ich dir ein wenig im Umgang mit deinen Fähigkeiten helfe, damit du schneller eigenständig als TI-2 agieren und ihn entlasten kannst.“
 
Juna starrte ihre Freundin verblüfft an. Hatte sie jetzt einen totalen Dachschaden oder erlag Juna selber einer Halluzination? Schwänzte ihre Freundin einfach die Schule, um sich in die Höhle des Löwen zu begeben und kam auch noch heil und mit Zugeständnissen wieder heraus! Entweder konnte sie hexen oder Wunder wirken.
Sie selber hatte Chris nie auch nur das geringste Zugeständnis abringen können. Jeder Versuch war mit einer harschen Zurechtweisung und dem Hinweis auf ihre Torheit abgeschmettert worden.
 
„Juna, schau, was hätte ich denn tun sollen? Außerdem ist es doch ein feines Abenteuer für uns beide, oder? Wir können wenigstens etwas bewirken, und wer kann das schon von sich behaupten?“ Juna schnaubte: „Ja, aber ich hätte es lieber, ich müsste nicht meinen Kopf hinhalten! Chris lässt mich gegen Monster kämpfen und wenn ich Fehler mache, staucht er mich ein und redet was von wegen wie töricht ich bin und wie unrein! Ich schulde ihm mein Leben, okay, aber das ist die Hölle! Ich will ja, aber wie soll ich, wenn ich nicht einmal weiß, was ich tun soll und was er von mir will?“
Lia legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter: „Juna, das kommt daher, dass er sich nicht mehr daran erinnern kann, wie es ist, Anfänger zu sein. Er ist mit diesen Fähigkeiten auf die Welt gekommen und für ihn sind sie das natürlichste auf der Welt. Nimm zum Beispiel Telepathie: Ohne sie könnte er praktisch überhaupt nicht kommunizieren, sofern es nicht jemanden gibt, der seine Zeichensprache versteht. Seine Zeit als Bewahrer daheim und hier als Avatar der Zeit haben seinen Blickwinkel total verändert.“ Juna sah sie fragend an.
„Was meinst du damit?“
„Wir achten hauptsächlich auf die Dinge, die uns direkt oder indirekt betreffen. Er hingegen sieht nur das Gesamtbild und die damit einhergehende Verantwortung. Er war jahrelang gewissermaßen der Repräsentant der Erde und ist in dieser Zeit eine tief greifende Verbindung mit ihr eingegangen. Das impliziert: Für ihn ist das Wohl aller wichtiger als ein einziges Individuum, verstehst du?“
„Ja, schon. Aber wenn er mich als seine Nachfolgerin bestimmt, müsste er mir dann nicht zumindest zu vermitteln versuchen, was er will?“
„Ich hatte noch keinen Einblick, wo es hakt, aber ich vermute, dass er es auf seine Weise versucht und dabei aber übersieht, dass du als „Normalsterbliche“ seinen Worten eine völlig andere Bedeutung beimisst, als er es tut.“
„Hm, das klingt plausibel, behebt aber das zugrunde liegende Problem nicht: Dass er und ich völlig aneinander vorbeireden.“
„Das ist der Grund, warum ich ihn gebeten habe, mir zu erlauben, dir zu helfen. Dass ich jetzt auch auf Einsätze mit soll, ist da nur hilfreich, glaube ich, weil ich dann notfalls eingreifen kann. Was meinst du?“
Juna seufzte: „Probieren kann man es ja einmal, Lia-san. Mehr als schief gehen kann es ja nicht. Zumindest hat er eingesehen, dass es so nicht mehr weitergehen kann.“
„Chris ist kein Narr, Juna-san. Es ist ihm auch schon länger aufgefallen, aber ich glaube, er wusste beim besten Willen nicht, wie er dem Problem beikommen sollte. Zumindest interpretiere ich seine Reaktion so.“
„Meinst du?“
„Ja.“
Ein blonder und ein schwarzer Haarschopf beugten sich wieder über die Hausaufgaben, aber keine der beiden war wirklich mit voller Konzentration dabei.
 
„Meinst du, Teresas Idee wird funktionieren, Chris?“
Ich hoffe es. Andernfalls werden wir früher Probleme haben, als es uns lieb ist.'
„Ich bin zwar immer noch gegen Juna und Lia, aber du wirst schon wissen, warum du sie wählst. Hoffe ich zumindest…“
Danke für diese Unze Vertrauen, Cindy! Keine Sorge, mein Verstand ist noch intakt!', spöttelte er.
Beide starrten aus dem Fenster in die Dunkelheit und hingen eigenen Gedanken nach.